Testkolumne Surprise (In so leichter Sprache wie möglich)

Ich bin angefragt worden regelmässig etwas in einem Strassenmagazin zu schreiben, weil ich behindert bin. Also gehe ich davon aus, dass ich auch über meine Behinderung schreiben soll und das ist das eigentliche Problem: Ich bin " allgemeinbehindert". Das heisst so wie alle. Ich glaube ich darf das sagen: Ich bin so behindert wie du und ich. Also bin ich "normal".  Und ich teile meine Behinderung mit der Hälfte der Bevölkerung. Mit denen die eine psychiatrische Diagnose haben. Das ist unsere eigentliche Behinderung, dass sie uns klassifizieren aufgrund unserer Verhaltensauffälligkeiten. Ich, zum Beispiel, bin ein "Schizo". Meine Diagnose ist etwas wohlklingender, eine die ich mir 1999 im Kantonsspital selber gestellt habe, aber "Schizo" passt. Es sind viele "Schizos" auf der Strasse unterwegs. Oft sind sie laut und verhaltensauffälig. Meist sind Rauschmittel im Spiel. So auch bei mir lange Jahre. Cannabis und Alkohol. Stufe Kommatös. Das heisst wir reden dann nicht mehr von einer einfachen psychiatrischen Diagnose als " Schizo" sondern von einer mehrfachen mit der Suchterkrankung. Seit dem Bundesgerichtsurteil letzten August - und vielleicht habt ihr das hier schon gelesen - gilt Suchterkrankung als psychische Krankheit und Arbeitsunfähigkeit muss ( oder mindestens sollte ) berentet werden. Ich schreibe das nicht um Marie Baumann an dieser Stelle wiederaufleben zu lassen, sondern weil ich als amtlich geprüfter "Schizo" zweimal abgeblitzt bin bei der IV BS und unter Umständen mit meiner Suchterkrankung Erfolg gehabt hätte.

 Ich bin aber auch noch ein "Psycho" dazu, weil ich fünf Psychosen in drei Kantonen durchlebt habe. Da ist man dann schon ein qualifizierter Behinderter und es reizt einen über die Normalität zu schreiben. Denn  mindestens zwei Dinge verliert man in einer Psychose : sich selber und den Bezug zur Normalität. Wenn man so will verliert man als drittes seine Sprache und das ist die "Hauptbehinderung" in dieser Phase, dass einen die anderen nicht mehr verstehen und sie uns nicht, und dass wir Mittelsleute brauchen, dass wir in diesem Zustand sozial nicht komplett verwahrlosen. Wirklich haben wir eine andere Sprache. Wir leben in einer anderen Welt in der wir jedes Wort auf die Goldwaage legen. Jede Aussage wird in der anderen Realität überprüft. Meist ist der erste Eindruck so zutreffend, wenn Haltung und Aussage inkohärent (unzusammenhängend) sind. Da kann es schon mal zu Verhaltensauffälligkeiten kommen. Das nenne ich eine gesteigerte Allgemeinbehinderung. Sollte jeder kennen. Eben. 

 Das kann vertieft betrachtet werden. Die Zusammenhänge zwischen unserer Sprache, der Behinderung, der Ausgrenzung und fehlender Visionen diese zu reformieren. Von Altkanzler Helmut Schmidt wurde das Bonmot (Sprichwort) überliefert: " Wer Visionen hat, sollte zum Arzt." Und tatsächlich hat die Ärzteschaft die Funktion übernommen, Visionen von der Gesellschaft fernzuhalten, indem sie ein Modell geschaffen hat, diese gleichsam zu pathologisieren ( als krank zu erklären ), zu absorbieren in neutralen Bürozimmern, und möglichst zu schauen, dass der Visionäre selber aufhört an den "Schwachsinn" zu glauben. So jetzt bin ich schon etwas ins Detail über systemische Verhältnisse, die uns behindern. 

 Ich will nochmal ein neues Wort einführen und das ist die Beeinträchtigung. Das muss man unterscheiden von der Behinderung. Beide Bezeichnungen sind aber unbedingt im momentan gesellschaftlichen Kontext zu verstehen, wo Andersartigkeit kein Platz hat und Andersartige an den Rand gedrängt werden. Denn beeinträchtigt bin ich durch meine Person und meine Geschichte. Aber behindert bin ich immer durch die herrschende Ordnung. Ich leide an ihr und durch sie. Sie behindert mich sie zu ändern. Das kennen sicher viele und das kann man wiederum als Allgemeinbehinderung verstehen und das ist normal. Eben.