Inside Psychopharmaka

 

 

Ich nehme seit 21 Jahren psychoaktive Substanzen zu mir. Also seit 21 Jahren ärztlich verordnete Psychopharmaka. Von Anfang an eine Kombi aus Lithium und Neuroleptikum, um meiner Diagnose der Schizoaffektiven Störung Herr zu werden. Bis vor kurzem sagte ich gerne, dass ich gar nicht mehr weiss, wer ich eigentlich bin, dass ich meine Präpharmakapersönlichkeit an eine neue medizierte, genesene Person verloren habe. Eine gleichförmigere, nivelliertere Person, die nach 21 Jahren Substanzmittelgebrauch ein Wesen ohne Medikamente gar nicht mehr kennt. Aber das stimmt nicht so ganz, denn es gab immer wieder Phasen der Reduktion und des Absetzens. Aber ich will der Reihe nach erzählen:

 

Mein erstes Neuroleptikum war mir bitter auf der Zunge und ich hielt es für Gift, das mir feindliche Agenten verabreichen wollten. Dies geschah im Jahr 2001 auf der Akutabteilung der Klinik Königsfelden. Ich spuckte die Tablette wieder aus, um als Medikamentenverweigerer zu gelten und um sogleich überwältigt, fixiert und zwangsmediziert zu werden. Ich erhielt mein erstes Psychopharmakum also gegen meinen Willen. Ich weiss noch, wie gedämpft ich war, als wäre ich in mir gefangen und dass ich das Medikament als Fremdkörper erlebte. Wie das Neuroleptikum damals hiess, weiss ich nicht mehr, aber es war eins der zweiten Generation. 

Ich habe seitdem nach jeder Psychose versucht meine Medikation zu reduzieren bis hin zur gänzlichen Absetzung, um Wochen später rückfällig und erneut auf Neuroleptika gesetzt zu werden. Dieses Erleben des Medikaments als Fremdkörper in meinem Organismus sollte mich noch viele Jahre begleiten. Die zwangsläufig jeder Psychose folgenden Zustände waren nicht leicht zu ertragen, teils erlebte ich mich als zu durchlässig, teils als zu gedämpft. Diese Zustände waren nur schwer von den Nebenwirkungen der Medikamente zu unterscheiden. Ausser, die Sache mit dem Übergewicht.... die 30 Kilo Gewichtszunahme kamen klar vom Neuroleptikum. Ärzt:innen verneinen in der Regel den Zusammenhang zwischen den Medikamenten und dem Übergewicht. Das Medikament selbst würde nicht dick machen....

 

Seit 21 Jahren schlucke ich also täglich Medikamente. Es gibt Stimmen die behaupten, dass schon diese blosse tägliche Routine einen Rückfall verhindere und seit meiner sechsten und bisher letzten Psychose im Jahr 2020 glaube auch ich, dass ich ohne diese Routine nicht in der «allgemein anerkannten» Realität bleiben kann. Ich denke, dass ich ohne Medikamente dauerhaft psychotisch wäre und werde sie wohl für den Rest meines Lebens nehmen müssen. Ich habe fast 20 Jahre gebraucht, dies zu akzeptieren. Diese Jahre waren gekennzeichnet durch Erfolge und Rückschläge auf der Suche nach dem geeigneten Medikament. Ein Medikament, mit dessen Nebenwirkungen ich leben kann. Nebenwirkungen, welche keine extreme Gewichtszunahme oder gar ein Extrapyramidales Syndrom beinhalten, welche ich für mich immer als die schlimmstmöglichen Nebenwirkungen definiert hatte. Mittlerweile habe ich ein solches Neuroleptikum gefunden und auch die richtige Dosis, die es mir ermöglicht meine Emotionen einigermassen auszuleben. So kann ich beispielsweise wieder Glück empfinden, ohne gleich eine manische Episode und somit einen Rückfall befürchten zu müssen. So wurde ich schliesslich diese genesene Person, die gelernt hat, die Psychopharmaka als Teil ihrer Persönlichkeit zu begreifen. Ich habe meine Routine entwickelt, ich begreife die Medikamente nicht mehr als störendes Element, sondern sogar als Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. 

 

 

Langsames Ausfahren oder Absetzen der Neuroleptika wird von allen empfohlen auch von der deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie e.V. welche eine tolle Broschüre zur Absetzung oder Reduktion von Neuroleptika veröffentlicht hat. Die war mir immer eine grosse Hilfe, findet man im Netz:

 

 https://www.dgsp-ev.de/fileadmin/user_files/dgsp/pdfs/Publikationen/DGSP_Broschuere_Neuroleptika_reduzieren_und_absetzen.pdf